Ein Flüchtling in unserer Wohngemeinschaft – Erfahrungsbericht

Text von Anne:

Ein Flüchtling in unserer Wohngemeinschaft – Erfahrungsbericht

Seit nunmehr 20 Jahren vermiete ich – erst in meiner eigenen Wohnung, jetzt in meinem eigenen Haus – Zimmer, bewusst in möbliertem Zustand, da dieses Angebot besonders gern von ausländischen Mietern – Doktoranden, Studenten, Praktikanten – in Anspruch genommen wird. Ich wohne mit meinen Mietern wg-artig zusammen und die Gespräche und der Austausch machen mir Spaß.

Nach einem Fernsehbericht über eine Hamburger WG, die einen Flüchtling bei sich aufgenommen hat, habe ich beschlossen: Das nächste freie Zimmer soll ein Flüchtling bekommen. Gesagt, getan: Ich meldete mich beim Sozialamt (Amt für soziale Leistungen –Sozialamt-Fachstelle für Wohnungserhalt und Wohnungssicherung, Tel. 0521/51- 6171). Der zuständige Sozialarbeiter schaute sich mein Haus an und sagte, da der qm-Preis des angebotenen Wohnraums die maximale Obergrenze für sozialen Wohnraum übersteigt, müsse er dafür erst eine Genehmigung einholen. (Da ich möbliert vermiete, mit voller Küchennutzung, solargestützter Heizung und Ökostrom, in einem relativ neuen Haus mit Garten, kann ich diesen niedrigen qm-Preis auch nicht anbieten – dennoch ist ein WG-Zimmer für die Stadt immer noch billiger als die Hotelunterbringung.) Die Genehmigung wurde aber glücklicherweise erteilt.

Gewöhnungsbedürftig war dann das Papier, was ich bekommen habe: Es ist kein richtiger Mietvertrag, sondern es nennt sich „Ordnungsverfügung über die zeitlich befristete Beschlagnahme von Wohnraum… zur Vermeidung von Obdachlosigkeit und der damit verbundenen Gefahren für Leben und Gesundheit der Betroffenen sowie der hierdurch entstandenen oder bevorstehenden Störung der öffentlichen Sicherheit“. Die Miete wird nicht Miete, sondern „Nutzungsentschädigung“ genannt, eine Kaution wird dabei (oder wurde zumindest in meinem Fall) nicht gezahlt. Es ist ein Verwaltungsakt, gegen den man dann innerhalb vier Wochen Widerspruch erheben kann. Darauf hatte mich der Sozialarbeiter aber vorbereitet – das Ganze geht auf ein Gesetz zurück, das damals nach dem Krieg zur Schaffung von Wohnraum für Flüchtlinge angewendet wurde. Die Verfügung läuft zunächst für ein Jahr, und dann kann ich es verlängern, wenn ich möchte. Auch habe ich die Möglichkeit, mich jederzeit bei dem Sozialarbeiter zu melden, wenn es Probleme gibt, und er kann dann helfen oder im Extremfall den Mieter austauschen.

Im Prinzip kann die Stadt dann eigentlich jeden Menschen in die WG hineinsetzen, in der Praxis konnte ich aber ungefähre Wünsche äußern. So habe ich zum Beispiel im Rahmen meiner langjährigen Vermietungspraxis die Erfahrung gemacht, dass es nicht gut ist, wenn man mehrere Mieter mit der gleichen fremdländischen Muttersprache im Haus hat – es beeinträchtigt das Deutschlernen, führt zu Cliquenbildung, und die anderen Mitbewohner fühlen sich ausgeschlossenen, wenn in der Küche in einer Fremdsprache parliert wird und sie nichts verstehen. Da ich bereits einen ägyptisch-stämmigen Mieter im Haus habe, habe ich mir daher gewünscht, nicht eine zweite Person mit arabischer Muttersprache zu bekommen. Vorgesehen war dann ein Somali, der aber dann an dem angekündigten Tag nicht kam – er hatte wohl an dem Tag, an dem er abgeholt werden sollte, geschlafen, und auch war dem Sozialarbeiter ins Bewusstsein gekommen, dass er ein sehr strenger Muslim war, der das WG-Begrüßungsessen, das ich für ihn und die anderen Mitbewohner schon liebevoll vorbereitet hatte, nicht essen würde, da gerade Ramadan war. (Wir haben es dann auch so alleine gegessen.) Am nächsten Tag bekam ich dann nun doch einen arabischsprachigen Flüchtling – einen 27jährigen Syrer, der altersmäßig und vom Hintergrund (hatte in Syrien schon studiert) ein wenig zu uns passte. Er sprach noch kein Deutsch – jetzt war es eigentlich doch ganz gut, dass wir schon einen Übersetzer im Haus hatten – vieles, wofür Zeichensprache und Smartphone-Übersetzungsprogramm nicht ausreichten, konnte unser Ägypter dann doch in Arabisch rüberbringen.

Ein wenig innerlich mit dem Kopf geschüttelt habe ich dann aber beim Abendessen – erfreut stellte unser Neuzugang fest, dass es noch einen weiteren sunnitischen Moslem bei uns gibt (einen Mazedonier), und halb im Spaß, halb im Ernst versuchten die beiden uns zu überzeugen, dass „sunnitische Muslime besser“ seien „als schiitische“. Ich habe gedacht, au weia – obwohl er Flüchtling ist, hat er eigentlich noch gar nichts gelernt oder über irgendwas nachgedacht…. Aber darüber muss man sich eben immer im Klaren sein – wenn jemand Flüchtling ist, heißt das nicht, dass dieser Mensch ein aufgeklärter Intellektueller ist, der religiöse und humanitäre Fragen reflektiert, ein lupenreiner Demokrat oder gar ein Engel ist (wie man grade in Suhl auch wieder gesehen hat), sondern es ist einfach nur ein Mensch, der um sein Leben gelaufen ist. Alles andere, das Kennenlernen anderer Sichtweisen und neuer Ideen, eventuell auch das Infragestellen eigener kultureller Traditionen kommt eben erst mit dem Leben hier und mit den Begegnungen mit anderen Menschen.

Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass – egal ob Flüchtling oder ausländischer Student – es immer etwas braucht, sich an deutsche Gepflogenheiten zu gewöhnen. Es ist immer so, dass ich, wenn ich jemand Neues habe, trotz Erklärungen am Anfang immer irgendwelche Plastiktüten aus dem Biomüll ziehe oder beobachte, dass Zigarettenasche in die Wertstofftonne gekippt wird. Man muss es eben erklären, eventuell auch mehrere Male. Auch muss man sich klar machen, dass viele Konfliktpunkte nicht entstehen, weil derjenige es böse meint oder nicht willig ist, sondern weil er es einfach nicht anders oder gar nicht gelernt hat. So beschwerten sich die Mitbewohner zum Beispiel immer über einen Aserbaidshaner, der das Bad (Duschbecken) nicht richtig putzte. Er verteidigte sich, er sei keine Hausfrau (worüber sich unsere weiblichen Mitbewohnerinnen noch mehr aufregten) und tue es bestmöglich. Aber als ich es ihm einfach gezeigt habe, wie man es macht, mit Scheuermilch und rauhem Schwamm, gab es danach keine Klagen mehr. Man muss vieles einfach zeigen, weil viele muslimische Männer (und im übrigen auch Deutsche, Frauen und Männer) es von ihren Eltern einfach nicht gezeigt bekommen haben, oder weil es dort anders gemacht wird.

Seit drei Wochen besucht unser Syrer nun einen Deutschkurs und spricht auch schon die ersten Sätze. Er lernt fleißig kochen (telefoniert wegen der Rezepte immer mit seiner Mutter) und hat auch schon mehrere Male für mich oder auch für mehrere von uns gekocht. Er bringt neue Impulse in unsere Wg – denn diese gegenseitigen Einladungen sind bei uns teilweise schon ein wenig eingeschlafen gewesen, und sonst bin oft nur ich es gewesen, die die anderen eingeladen hat (und dann irgendwann auch nur noch die, von denen eine Gegeneinladung erfolgte). In jedem Fall macht es Spaß, und ich bekomme selbst auch neue Kochideen und lerne ein paar neue arabische Wörter. Am Wochenende werde ich für ihn und die anderen „Machlub“ kochen – denn das kann ich (noch!) besser als er. 🙂

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