Von Rouven Ridder (Bielefelds Westliche)
Fluchtgrund: Verliebt in einen Mann
Ennio aus Albanien
Ennio ist 19 und kommt aus Albanien. Majid ist 28 und hat die weite Reise aus dem Iran hinter sich. Beide sind in Bielefeld gelandet, zwar aus dem selben Grund, aber mit unterschiedlichen Bedingungen. Denn beide sind homosexuell und haben in ihrer jeweiligen Heimat schlimme Erfahrungen gesammelt.
Ennio kommt aus einem kleinen Ort in Albanien, nur 20 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Tirana. „Dort kennt jeder jeden,“sagt er über das Dorf, in dem er mit seiner Familie unter einem Dach lebt. Aber seitdem er in der Hauptstadt studiert, sei er innerhalb der Woche hauptsächlich dort. Obwohl die Strecke nicht so lang sei, bräuchte man mit Bus und Bahn etwa eine Stunde für die Fahrt dorthin. Im Studentenwohnheim hätte Ennio sich ein Zimmer mit sechs anderen Studenten geteilt.
Doch egal, ob im Dorf oder in der Hauptstadt: Als er sich verliebt hatte, wurde es für ihn und seinen Freund überall schwierig. An Treffen in der Öffentlichkeit war nicht zu denken, schon gar nicht im Wohnheim. Zwar sei Tirana kulturell belebter als die ländliche Gegend und Albanien als Ganzes bestrebt daran, die EU-Mitgliedschaft zu erlangen. Doch es sei noch ein weiter Weg, bis Minderheiten wie Homosexuelle dort ihre Daseinsberechtigung erführen. „Als meine Eltern verreist waren, hatten mein Freund und ich uns auf meinem Zimmer im Elternhaus getroffen.“
Wie im Film
Es geschah aber dann wie im Film: Die Eltern kehrten früher zurück und die beiden wurden überrascht. „Mein Papa drohte mir damit, mich umzubringen,“ erzählt Ennio zitternd. Und auch seine Mutter wollte nichts mehr von ihm wissen. Er flüchtete zurück nach Tirana, ins Wohnheim. Doch sein Vater kam hinterher und es gab einen riesigen Aufstand im Hausflur. „Alle bekamen es mit“. Auch seine Mitbewohner, die nun nicht mehr mit ihm in einem Zimmer leben wollten. Nachdem sich die ersten Wogen geglättet hatten, gab ihm der Portier des Wohnheims einen Tipp: „Geh zum LGBT, vielleicht hilft man dir dort“.
Im einzigen LGBT (= engl. Abk. für „Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender“, also Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender, hier: eine Selbsthilfestelle) Albaniens, einem kleinen Büro in Tirana, konnte man Ennio aber auch nicht helfen. Die ihm dort geratenen Alternativen lauteten entweder Polizei oder Flucht. Und da ihm auf der Polizeidienststelle nur Häme begegnete, blieb ihm davon nur die eine Option.
Und Ennio hatte Angst. Er verspürte Trauer. „Bis dahin dachte ich, ich könnte mir zumindest der Liebe meiner Familie sicher sein. Doch plötzlich war auch die weg.“ Er entschloss sich zur Abreise und entdeckte vor dem Zusammenpacken im Wohnheim noch einmal einen kleinen Hoffnungsschimmer – seine Mutter hatte ihm beim Pförtner 300 Euro zurück gelassen. Immerhin.
Auf sich allein gestellt
Einer seiner Brüder lebte inzwischen in Italien. Er rief ihn an. Am Telefon erlebte er dann aber alles andere als Rückhalt. Offenbar hatte sein Vater mittlerweile die familiären Kontakte geknüpft. Am anderen Ende des Hörers drohte sein Bruder ihm: „Wenn ich dich in die Finger bekomme, töte ich dich.“
So auf sich allein gestellt, machte sich Ennio mit den 300 Euro auf den Weg und ließ seinen aus den Augen verlorenen Freund zurück. Er gelangte am Ende nach Bielefeld und landete in einer Unterkunft mit mehreren Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Alle haben eine bessere Aussicht auf eine erfolgreiche Asylgewährung als er, da er schließlich aus einem – dem deutschen Asylrecht nach – „sicheren Herkunftsstaat“ stammt.
Er muss jetzt beweisen, dass er dennoch verfolgt wird. Hier erhält er immerhin Unterstützung dabei, zum Beispiel von der Aidshilfe e.V. Von seinem damaligen Freund weiß er inzwischen über Facebook, dass er ebenfalls geflüchtet ist. Er sei wohl in Schweden gelandet. „Aber ich hab Angst, ihn zu kontaktieren. Ich kann nichts und niemandem mehr trauen.“ Ihn fürchtet inzwischen sogar, dass der Facebook-Kontakt eine Fälschung ist.
Majid aus dem Iran
Größeren Erfolg bei seinem Asylantrag könnte Majid haben. Aber er hinterließ bei seiner Flucht aus dem Iran ebenfalls eine große Familie und möglicherweise Folgen für einzelne ihrer Mitglieder.
„In der streng-religiösen Gesellschaft des Irans kommt Homosexualität einfach nicht vor,“ beschreibt er seine Heimat und meint die Ausblendung oder das Verschweigen des Vorhandenseins von Schwulen und Lesben dort.
Er wuchs in einer – wie er sagt – kleinen Stadt mit etwa 500.000 Einwohnern im Zentrum des Landes auf. Und er war irritiert, als er seine „Neigung“ in der Schule beim Schwärmen für einen Mitschüler entdeckte. Er spürte, dass allein der Versuch, darüber zu reden, ihn verdächtig machen würde. Und im Iran drohe bereits bei der ersten Entdeckung die Verhaftung – und auf Homosexualität steht die Todesstrafe.
Selbst als er zum Studium in die Hauptstadt Teheran – immerhin mit über 8 Millionen Einwohnern – wechselte, fühlte er sich in der Menge an Menschen nicht sicher. Neben der offiziellen Polizei konnte die Sittenpolizei „Basidsch“ überall und in jedem vermutet werden. Es herrschte eine Atmosphäre ständigen Misstrauens.
Versteckspiele
Als Alibi-Funktion sollte für viele die Heirat gelten. Und auch Majid sollte verheiratet werden und seine Familie bestand auch auf einer Heirat. „Ich empfinde für sie, was ich für jeden Menschen empfinde – aber es war nun mal nicht so intensiv wie ich es zu einem anderen Mann gefühlt hätte, da ist keine Erotik“, erzählt Majid. Und nach einer langen depressiven Phase ternnte er sich dann von dem Mädchen und ging zu seinem Freund
Sein Freund hatte eine Wohnung, wo sie sich unter großen Vorsichtsmaßnahmen treffen konnten. Doch eines Abends klopfte es plötzlich mehrmals an der Wohnungstür. Majid:„Wir haben uns absolut still verhalten, weil wir nicht wussten, wer dort vor der Tür stand.“ Nach einer Weile hörte das Klopfen auf.
Die beiden Liebenden hätten bis zum Morgengrauen und völlig verängstigt in der Wohnung verharrt. Am nächsten Morgen hätten sie sich heraus geschlichen. Für Majid war mit diesem Zeitpunkt klar: „Hier kann ich nicht bleiben“. Denn wer weiß, ob es nicht die Sittenpolizei war, die vor der Tür gestanden hatte.
Sein Freund sagte beim Abschied noch: “Ich rufe dich bald an”. Doch das tat er nie und verschwand plötzlich. Alles war verdächtig und Majid sagte sich, er müsse fort.
Ungewissheiten
Nach seiner Flucht befürchtet Majid, dass er zuhause noch weitere, tiefe Wunden aufgerissen hat. So könnte es sehr gut sein, dass die Ehe seiner Schwester mit ihrem Mann aufgelöst wurde. „Es gilt als Schmach, mit jemandem verheiratet zu sein, in dessen Familie ein Homosexueller ist.“
Gewissheit hat er nicht. Und bei jedem Kontakt müsste Majid befürchten, dass die Polizei oder die Basidsch seiner Familie etwas über ihn erzählten – und dann wäre alles zerstört.
Es dürfte klar sein, dass es sich weder bei Ennio noch bei Majid um „Wirtschaftsflüchtlinge“ handelt. Und man darf gespannt sein, wie das das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sieht. Und wie lange es für eine Entscheidung in den beiden Fällen benötigt.
In Deutschland fühlen sich Majid und Ennio bislang wohl, immerhin sind sie hier nicht derart drastischen Repressionen ausgesetzt wie in ihrer jeweiligen Heimat. Hier ist „schwul sein“ fast normal – aber eben nur „fast“. In den Notunterkünften leben sie dann aber wieder mit vielen Flüchtlingen aus ihren und anderen Herkunftsländern zusammen, aus solchen Gesellschaften, in denen deutliche Ressentiments gegenüber LGBTs herrschen. Und die bekommen sie dort wieder zu spüren.
Es ist also kein Wunder, wenn sie darauf drängen oder darum bitten, verlegt zu werden. Ennio und Majid ist das nach mehreren Anläufen, mit Glück und Unterstützung gelungen.
Bleiben nur noch die anderen.